Ortsgruppe

Geschichte

Die Naturfreunde gründeten sich 1895 in Wien als sozialdemokratische Gegenorganisation der Arbeiterbewegung zum bürgerlich elitären Alpenverein. Mit dem Gruß „Berg frei“ kämpften sie in der Folge für das freie Wegerecht für jedermann und gegen Betretungsprivilegien von Fürsten und Bourgeoisie. Zu den Gründern der Naturfreunde gehörte Karl Renner, späterer Präsident der Republik Österreich. Und auch der aktuelle Bundespräsident Heinz Fischer kann darauf verweisen, dass er langjähriger Vorsitzender der österreichischen Naturfreunde war. „Lasst weit zurück die Stätten Eurer Fron“ ist ein Motto, unter dem die Naturfreunde als erste Arbeitertouristen ab 1905 auch in Deutschland und der Schweiz die Natur erkunden, miteinander und voneinander lernen und neue Kraft schöpfen wollten. Heute umfasst die Naturfreundebewegung mehr als 600.000 Mitglieder in 21 Länderorganisationen.

Der Aufbau der Naturfreundeorganisation in Ortsgruppen folgte den Stätten der Industrialisierung. Noch heute findet man die meisten Ortsgruppen in Deutschland aufgereiht an Flüssen und Eisenbahnlinien. Als Wanderunterkunft und Freiraum für die ungestörte politische Betätigung schaffen sich die Naturfreunde ab 1907 (Naturfreundehaus Padasterjoch, Österreich) ein eigenes Häuserwerk. Sie wollen raus aus Kneipen und Spelunken und in eigenen Wanderheimen selbst bestimmen können. So entsteht als erstes Naturfreundehaus (NFH) in Deutschland 1911 das NFH Maschen (C 3) am Rande Hamburgs in der Heide. Bis zur Weltkriegskatastrophe entstehen so etwa 30 Naturfreundehäuser wie z.B. das vom sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carl Schreck 1914 eingeweihte Bielefelder Naturfreundehaus (D 1) in Oerlinghausen mit 60 Schlafplätzen und großer Selbstkocherküche. Die Arbeiter- und Soldatenrevolution von 1918 bringt in Bayern das freie Wegerecht und den Naturfreunden z.B. das Naturfreundehaus Wimbachgrieshütte (N 53) im heutigen Nationalpark Berchtesgadener Land. Heute ein besonderes Schmuckstück der Umwelt- und Klimaschutzanstrengungen des Naturfreundeverbandes, das durch seine vorbildliche solare Energieversorgung und ein naturverträgliche Konzept der Wasserver- und Entsorgung beispielgebend für angepasste Nutzung des alpinen Raumes ist.

In den zwanziger Jahren erhalten die Naturfreunde großen Zulauf. In Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Krise und Inflation ist der Genossenschaftsgedanke, das selbst Hand anlegen für viele Arbeiterinnen und Arbeiter attraktiv. Aus Abbruchmaterial eines alten Schornsteins, das zum Teil in Rucksäcken von den Naturfreundemitgliedern zum Lönssee getragen und selbst verbaut wurde, schaffen sich die Hannoveraner Naturfreunde 1924 nicht nur ein schmuckes Naturfreundehaus in Mellendorf (E 4), sondern auch eine besondere emotionale Bindung an ihr Arbeitereigentum. „Jedes Naturfreundehaus, das neu entsteht, ist ein Stück Klassenkampf“ heißt es auf der Reichsversammlung der Naturfreunde 1928. Auch als „grüne Inseln im Klassenkampf“ werden Naturfreundehäuser in diesen Jahren durchaus ambivalent bezeichnet, von den einen als Rückzugsgebiet aus (über-)politisierten Kämpfen der Arbeiterparteien untereinander geschätzt, von anderen als Ruhezone, die neue Kraft für die politische Auseinandersetzung geben soll. Ganz pragmatisch schaffen sich die Naturfreunde im Sinne der Gegenkultur der Arbeiterbewegung ein eigenes Netzwerk ihrer Häuser. So können die Kölner Naturfreunde auch Mehrtagestouren anbieten, bei denen die Wanderung vom NFH Laachersee (F 27) in der Eifel durch das Brohltal und per Personenfähre über den Rhein zum in den Leutesdorfer Weinbergen gelegenen NFH Edmundhütte (K 1) und weiter auf die Naturfreundehütte „Auf dem Himmerich“ im Siebengebirge bei Bad Honnef (von den Nazis enteignet und zerstört) führte. Einflüsse der Lebensreformbewegung kommen auch bei den Naturfreunden zum Tragen und insbesondere die Freikörperkultur irritiert manchen Dorfbewohner. So erinnern sich heute noch etwa im Örtchen Naundorf im Brandenburger Spreewald Einwohner an die Nackerten im Naturfreundehaus beim Sonnenbaden. In ihren Fachgruppen entwickeln die Naturfreunde eine eigene „Volkshochschule“, sie wandern nicht einfach, sondern machen „soziales Wandern“ zu ihrem Programm, wollen schauen, entdecken und begreifen. In den späten 20er Jahren sind viele Ortsgruppen der Naturfreunde in der Lage auch mit kommunaler Unterstützung Naturfreundehäuser als Übernachtungshäuser und „proletarische Jugendherberge“ besonders für Kinder- und Jugendliche zu errichten. Große Kinderlager und Kinderwanderungen führen zum Beispiel in das NFH Hedtberg (G 4) am Herbergsweg in Bochum-Dahlhausen.

Hatten manche Alpenvereinshütten schon in den zwanziger Jahren aus eigener Überzeugung die Hakenkreuzfahne gehisst, so erlitten die Naturfreundehäuser dieses Schicksal durch Verbot und Enteignung ihrer angeblich „marxistischen“ Naturfreundeorganisation 1933. Die Naturfreunde verlieren ihre Freiheit, ihre Organisation, ihre Einkaufsgenossenschaft für sportlichen Bedarf und ihre Häuser. Naturfreundehäuser gehen in den Besitz der NSDAP, der SA, der Hitlerjugend der Jugendherbergsorganisation oder den von privaten Profiteuren des Hitlerregimes über. Der Stützpunkt der Naturfreundebergsteiger im Elbsandsteingebirge, das NFH Königstein (S 9) wird von der SA ebenso als KZ missbraucht wie manche andere Naturfreundehäuser. Viele Naturfreunde kämpfen im Widerstand und bezahlen ihr Engagement für die Freiheit mit ihrem Leben.

Abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten der Besatzungszone gründen sich die Naturfreunde nach dem fürchterlichen Ende des „tausendjährigen Reiches“ wieder. Aber die zwölf Jahre der Nazidiktatur hatten für die Naturfreundehäuser nicht nur Zerstörung oder Einquartierung von Flüchtlingen gebracht. Die Naturfreundeorganisation kann nur gestützt auf die internationale Solidarität der Naturfreunde in anderen Nationen neu aufgebaut werden. In der Frankfurter Rundschau erscheint ein Aufruf der amerikanischen Naturfreunde zur Wiederbegründung der Naturfreunde in Deutschland. In der sowjetisch besetzten Zone kommen die Gründungsbemühungen nicht über die örtliche Ebene hinaus, die Naturfreunde und ihr Jugendverband werden als im Sinne der neuen Machthaber unzuverlässige Organisation wie die anderen der Arbeiterbewegung in die Einheitsorganisation in Jugend, Sport und Kultur (später in der DDR: FDJ, Deutscher Bund für Wandern und Orientierungslauf oder Kulturbund) gepresst.

Als „Entschädigungsleistung“ für ihre Verfolgung zwischen 1933 und 1945 erhalten die Naturfreunde eine begonnene SS-Lebensborn-Baustelle an der Kanzelwand in den Allgäuer Alpen. Mit Ausstrahlung auch in die „Ostzone“ errichten dort die Naturfreunde in den fünfziger Jahren in Workcamps und finanziert mit Genossenschaftsbausteinen und Ortsgruppendarlehen das Naturfreundeferienheim Kanzelwandhaus (N 1). Der kalte Krieg jedoch beendet auch die deutsch-deutschen Naturfreundebeziehungen. In der DDR waren die Naturfreundehäuser z.B. Parteischule der SED wie das NFH Üdersee (B 8) oder hießen z.B. „Jugendherberge Hans Dankner“ wie das zwischen 1912 und 1914 errichtete NFH Zirkelstein(S 10). Hans Dankner war Mitglied der Leipziger Naturfreunde gewesen und wurde 1944 wegen seines Kampfs gegen Faschismus und Krieg im KZ Auschwitz umgebracht.

In der jungen Bundesrepublik haben die Naturfreunde mit ihren Häusern vielen jungen Leuten etwas zu bieten, die nach dem Krieg Naturerlebnis, Geselligkeit, sportliche und kulturelle Betätigung suchten. Viele neue Naturfreundehäuser entstehen als quasi gemeinsames Ferien- oder Wochenendhaus der Naturfreundeortsgruppe. Volkstanz ist beliebt und findet auch baulichen Ausdruck in entsprechend angelegten Volkstanzkreisen wie etwa im NFH Stadtjugendheim Köln-Kalk (F 22) noch heute zu besichtigen. Die Naturfreunde wachsen schnell als Freizeitorganisation, Camping- und Motortouristen. Wieder werden Häuser durch symbolische „Bausteine“ mit Abwohnrecht errichtet. Die „Verkleinbürgerlichung“ der Arbeiterbewegung bringt gelegentlich auch Auswüchse mit sich wie vererbbare Stellplätze auf Naturfreunde-Campingplätzen. Viele kleinere Ortsgruppenhäuser entstehen in den fünfziger und sechziger Jahren und wurden oder werden bis heute von ehrenamtlichen Hausdiensten der Ortsgruppe geführt. Baulich sind dies gelegentlich „Patchworkhäuser“, in denen sich jede Hausdienstgeneration durch eigene Handwerksleistungen und Geschmack eingebracht hat. Viele dieser Häuser sind heute an Gastwirte verpachtet. Traditionshäuser wie das ursprünglich in Bayern, heute in Rheinland-Pfalz gelegene Naturfreundehaus am Rahnenhof (K 9) oder das NFH Elmstein (K 14) werden in den siebziger und achtziger Jahren zu modernen Familienferien- oder Tagungshäusern ausgebaut. Anknüpfend an die von den Naturfreunden mitbegründete Ostermarschbewegung gegen die Atomrüstung erklären sich in den achtziger Jahren im Rahmen der Auseinandersetzung um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland viele Naturfreundehäuser symbolisch zu „Atomwaffenfreien Zonen“. Im NFH Bodensee (L 51) und weiteren Häusern werden die bestehenden Gemeinschaftsunterkünfte durch Familienappartements und so genannte Studios für Kleingruppen ergänzt.
Reisefreudige Naturfreunde unterstützen italienische Naturfreunde beim Bau neuer Häuser wie im toskanischen Volterra oder errichten noch ohne einheimische Naturfreundeorganisation ein Naturfreundehaus in Viladamat in der Empordá in Spanien.

Mit der Gründung der „Naturfreunde DDR“ nach dem Mauerfall in der Jugendherberge „Julius Fucik“ (NFH Königstein) am 18. März 1990 und dem bald folgenden Zusammenschluss der deutschen Naturfreundeorganisation stellt sich für die Naturfreunde die Frage des Neuaufbaus eines Häuserwerks in den neuen Ländern. In komplizierten Restitutionsverfahren, die bis heute nicht abgeschlossen sind, kehren einige der 1933 enteigneten Traditionshäuser wie Zirkelstein, Königstein, Üdersee in die Obhut der Naturfreunde zurück und zwingen die Naturfreunde zu großen Investitionen, wenn sie ihr Erbe nicht ausschlagen wollen. Mit öffentlicher Förderung werden neue Stützpunkte für große Familienferienstätten der Naturfreunde wie das NFH Usedom (O 1) oder das NFH Oberhof (T 5) am Rennsteig geschaffen. Als Betreiberverein von zehn Häusern in den neuen Ländern wird das „Familienferien- und Häuserwerk der Naturfreunde Deutschlands“ in Berlin errichtet.

International wächst die Naturfreundebewegung durch die europäische Einigung, mehr als 1000 Naturfreundehäuser existieren in Europa, die Naturfreunde wagen den Sprung auf den afrikanischen Kontinent und unterstützen den Bau eines Naturfreundehauses in Senegal verbunden mit einer Baumschule und einem Ausbildungsprojekt für Jugendliche.

Die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen von Naturfreundehäusern, ihre differenzierte Ausrichtung als Wander- oder Berghütte, Freizeit- oder Ferienheim, Familienferienstätte oder Jugendherberge machen einheitliche Konzepte für Naturfreundehäuser schwierig. Als politische Organisation geben sich die Naturfreunde jedoch ein international einheitliches Leitbild für Naturfreundehäuser. In Deutschland verstärken die Naturfreunde im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ihre Anstrengungen zu Energieeinsparung und für einen Beitrag ihrer Häuser zum Klimaschutz. Als Verband für eine nachhaltige Entwicklung fördern sie regionaltypische Verpflegung, beispielhaft im NFH Hirzwald (M 47) oder NFH Vereinsheim Neustadt (L 32), und umweltfreundliche Mobilität im Projekt „Einsteigen: naturfreundlich unterwegs“.

Mit einer minimalen Übernachtungsabgabe in Höhe von 40-Cent tragen die Gäste der Naturfreundehäuser zum Erhalt dieses Häuserwerks bei. Die Naturfreunde sind für alle offen, sie sind ökologisch und sozial. In diesem Sinne betreiben sie ihre Häuser.


Willi Jacobi